Hilflos vor den Grauen des Krieges?
Nach dem Eklat, zu dem es durch die pazifistische Meinung des Vereins Aachener Friedenspreis auf einer Kundgebung von Pulse of Europe in Aachen am 12. März 2022 gekommen ist, sah ich mich wieder veranlasst, einen Leserbrief an die Aachener Zeitung zu schreiben, da man im Angesicht des Grauens dieses Krieges, des unsagbaren Leids der Menschen, des Todes tausender Zivilisten und vor allen Dingen durch die Machtlosigkeit dem Diktator im Kreml gegenüber vollkommen hilflos steht. So geht es zumindest mir, jemanden der sich Gedanken macht wie man aus dieser Lage, wenn überhaupt, vielleicht rauskommt.
Abgesehen davon, dass verschiedene Regierungschefs immer wieder versuchen, einen Draht zu Putin zu finden, melden sich auch immer mehr Experten zu Wort, und man gewinnt den Eindruck, dass nach vier Wochen Krieg, nach wie vor eine große Hilfsbereitschaft besteht, die auch weitergehen wird, so wie der Krieg fortdauert. Aber andererseits erkennt man auch, wie schnell sich Szenarien und Gedankenspiele entwickeln, sowohl bei den Politikern, wie auch bei vermeintlichen Experten, die alle eines nicht im Blick haben: das sofortige Ende der Kämpfe, verbunden mit einem weitreichenden Vorschlag an Putin und dem Angebot über diesen konkreten, öffentlich vorgelegten Friedensplan zur Gestaltung der Sicherheit ganz Europas zu verhandeln. Der Beginn dieser Verhandlungen müsste terminiert sein, und zwar kurzfristig. Allerdings bedarf es dazu, dass Vertreter der USA, Großbritanniens, der NATO als solche, sowie Deutschlands, Frankreichs und Polens, selbstverständlich der Ukraine und von mir aus auch andere, sich schnellstmöglich und durchgehend zusammen zu setzen in einer Klausurtagung, um einen solchen Friedensplan auszuarbeiten. Es gilt, keine Zeit mehr zu verlieren.
Nun weiß ich nicht, ob es eine solche Taskforce schon gibt oder ob man die Ukraine mit ihren Verhandlungen weiter im Regen stehen lässt, ich meine eher das Letzte ist der Fall. Aber in der heutigen digitalen Zeit muss das Ergebnis öffentlich sein, damit jeder Weltenbürger ein klares Bild davon hat, was man Putin anbietet. Dies wäre eine Zeitenwende, hin zu einer neuen Epoche, zumindest auf dem europäischen Kontinent.
In einer Fragestunde der Aachener Zeitung äußerte sich auch Prof. Rotte von der RWTH Aachen, Fachmann für internationale Beziehungen, zu dem Konflikt mit einigen durchaus interessanten Feststellungen und Positionen, die man auch als ernüchternd empfinden kann. Sie zeigen, dass es eine einfache Lösung nicht geben wird. Zu den Standpunkten von Prof. Rotte möchte ich mich hier aber nicht äußern (siehe auch auf Youtube), festhalten will ich aber, dass dieser Krieg zwar Putins Krieg ist, aber er ist auch der Krieg eines ganzen Machtapparats und eines ganzen Volkes, das zu einem hohen Prozentsatz hinter diesem Krieg steht. Das war auch bei Hitler nicht anders, sagt Prof. Rotte. Der zweite Weltkrieg war nicht nur Hitlers Krieg, sondern er war auch der Krieg eines ganzen Machtapparats und eines ganzen Volkes, das ebenso hinter diesen Krieg stand.
Dies vorausgeschickt, möchte ich noch einmal ganz bescheiden darstellen, wie ein Friedensplan aussehen könnte.
1. Beginn der Verhandlungen an einem bestimmten Tag bei vorheriger Bekanntgabe eines Friedensplans und sofortigem Waffenstillstand beginnend an
diesem Tag. Eine rasch aufgestellte OSCE Beobachtungstruppe überwacht diesen Waffenstillstand.
2. Die Ukraine wird eine föderale Republik, mit verschiedenen Teilstaaten, die über eine weitgehende Autonomie verfügen, darunter auch der Donbass
und die Krim, die also nicht unabhängig werden oder bei Russland verbleiben, sondern Bestandteil des ukrainischen Bundesstaates sind.
3. Die Teilstaaten berücksichtigen alle sprachlichen und kulturellen Minderheiten des Vielvölkerstaates Ukraine, also Ukrainer, Russen, Polen,
Krimtataren, Ruthenen, und alle anderen Minderheiten des Landes.
4. Die führende Leitsprache ist die ukrainische Sprache, aber die anderen Sprachen sind gleichwertig in den einzelnen Teilstaaten zu
berücksichtigen, und deshalb auch gleichwertige Sprachen in der der Verfassung der neuen Republik.
5. Die Ukraine kann einen neutralen Status erhalten, ähnlich wie dies auch bei Schweden und Finnland der Fall ist. Wenn man die Blockpolitik
beibehalten soll, was wohl mit Putin nicht anders geht, dann muss auch Belarus (Weißrussland) neutral werden.
6. Beide Staaten haben nur eine Armee kleiner Stärke, darüber hinaus kann man auch verhandeln, dass die baltischen Staaten ebenso nur kleine Armeen
unterhalten (was ohnehin der Fall ist), und die reduzierte Truppenstärke der NATO ebenfalls erhalten bleibt.
7. Im gleichen Atemzug gilt dies auch für einen Gebietstreifen der russischen Föderation, ausgehend von St. Petersburg über Pskow, bis nach
Woronesh bzw. Rostow am Don. Wenn Atomraketen bis zum Ärmelkanal zurückgezogen werden sollen, dann auch bitte bis hinter dem Ural
8. Mittel- und Langstreckenraketen werden aus einem zu definierenden Territorialstreifen abgezogen, insbesondere auch Atomwaffen. Dies gilt sowohl
für die NATO-Staaten wie auch für die Russische Föderation. Das Gouvernement Königsberg muss ebenso neutral und waffenfrei sein.
9. Wie Sicherheitsgarantien für die Ukraine aussehen können, weiß ich nicht, ebenso weiß ich nicht welche Garantien Russland für sich selbst
überhaupt noch beansprucht. Im Falle der Ukraine und der neuen Bundesrepublik Ukraine, kann allerdings auch ohne Mitgliedschaft die NATO ein Garant sein.
10. Ebenso könnte die Russische Föderation der Garant sein für eine Sicherheitsgarantie zugunsten von Belarus. Dies wird wahrscheinlich notwendig sein, solange die
Despoten Putin und Lukaschenko an der Macht sind.
11. Die NATO kann auch eine Garantie übernehmen für Länder wie Schweden, Finnland, Moldau und Georgien, ohne dass diese Länder Mitglied der NATO werden.
Die Gebiete Transnistrien kommen dabei zurück unter der Hoheit von Moldau, Abchasien und Südossetien unter der von Georgien.
12. Auch diese beiden Länder, Moldau und Georgien, müssen Bundesrepubliken werden und den sprachlichen und kulturellen Status ihrer ganzen Bevölkerung
schützen durch eine klar umschriebene Autonomie
Nun mögen das alles Verhandlungspunkte sein, die für Putin schwer zu verdauen sind und vielleicht eine Einigung unmöglich machen. Man sollte deshalb eine weitreichende Sicherheitsarchitektur aufbauen und eine wirtschaftliche Zusammenarbeit anstreben. So kann man neben einem EU-Beitritt für Länder wie die Ukraine oder Moldau durchaus in Betracht ziehen, aber es sollte auch ein Assoziierungsabkommen mit der russischen Föderation in Aussicht gestellt werden. Nur mit einem demokratischen Russland ließe sich allerdings eine solche neue Wirtschaftsarchitektur vereinbaren.
Exkurs:
An dieser Stelle sei ein Exkurs erlaubt, denn diese Vorschläge sind natürlich von meiner eigenen Vision von Europa geprägt, welche dadurch gekennzeichnet ist, dass
es Frieden in Europa nur geben wird, wenn die alten und vergangenen nationalen und nationalistischen Denkweisen ein für allemal verschwinden. Das trifft dann allerdings für viele Staaten in
Europa zu, wenn nicht sogar für die meisten. Auch Rumänien muss seine Minderheiten besser schützen und durch eine neue Verfassung die kulturelle Autonomie aller Minderheiten garantieren. Wenn
möglich sollte auch hier ein bundesstaatlicher Aufbau entstehen in den entsprechenden Regionen der Länder. Teilautonomien reichen nicht aus, wie Spanien belegt. Es trifft nämlich auch zu für
Bulgarien, vor allem für Ungarn, wo schon Gedankenspiele eines Großungarischen Reiches entstanden sind. Aber selbst für die Tschechei und die Slowakei, insbesondere auch für Polen muss es eine
Art bundesstaatliche Struktur geben mit autonomen Gebieten. Sprachlichen Schutz und Anerkennung sollte es auch für die russischen Sprache in den baltischen Staaten geben. Auch erwähnen will ich die westlichen Staaten Europas. Die letzten Jahre waren gekennzeichnet von Konflikten in Spanien, in Großbritannien, in Italien, ja selbst noch letzte
Woche in Frankreich (die Forderungen der Korsen). All diese Länder müssen sich etwas einfallen lassen, um die neue Friedensordnung in Europa zu begründen und zu erhalten.
Das alles ist nicht Bestandteil der Verhandlungen mit Putin oder der Ukraine, es ist aber ein deutlicher Hinweis für das Bemühen, eine neue Sicherheitsordnung in Europa zu schaffen, jenseits der nationalistischen Strukturen des 19. Und des 20. Jahrhunderts, an denen Putin anknüpfen möchte und die nichts als Elend über den Kontinent gebracht haben. Auch in unseren westlichen Gemeinschaften und Staaten ist diese nationale Denke aber noch in unseren Köpfen und Strukturen weit verbreitet. Es gibt zwar viele Erklärungen und viele Bekenntnisse, die ständig wiederholt werden, aber sie rütteln nicht an diesem verheerenden Nationalismus, der von vielen als selbstverständlich angesehen wird und von anderen nahezu gepflegt und heraufbeschworen wird.
Ohne jetzt von Deutschland zu sprechen, möchte ich berichten, was ich gerade an einem Wochenende im März in Maastricht in den Niederlanden erlebte. Man muss sich in der Tat erinnern, dass sich die Niederlande 2005 in einem Volksentscheid gegen das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine aussprachen. Dieses Mal, in Anbetracht der heutigen Kriegssituation, möchten vielleicht viele Niederländer nicht mehr daran erinnert werden. Es wurde deshalb auch heruntergespielt, dass man eigentlich die Bemühungen Europas im Blick hatte und dem Plan einer Europäischen Verfassung eine Absage erteilen wollte. Diese sah nämlich mehr Befugnisse für die europäische Ebene vor, was offensichtlich eine Mehrheit der niederländischen Wähler ablehnte. Sicher ein nationaler, um nicht zu sagen nationalistischer Reflex, der dem jahrelangen bashing geschuldet war, das immer wieder und in allen Ländern über die Union und auf allen Ebenen herniederprasselt. Die Niederlande sind heute ein zentralistisch organisierter Staat und seit 2005, dem Jahr des Referendums, trat die niederländische Regierung immer auf die Bremse. Nicht mehr Europa war die Devise, sondern stets weniger. Dies kam in vielen Abstimmungen zum Ausdruck, angefangen bei der Finanzkrise, der Eurokrise, der Flüchtlingskrise und dem Stimmverhalten im Allgemeinen. Das der jetzige Kriegszustand in Europa eine Wende herbeiführen wird, glaube ich nicht. Es ist absolut notwendig, dass sich eine ganz neue Generation von Politikerinnen und Politikern für ein anderes Europa einsetzt. Auf der Konferenz zur Zukunft Europas liegen hier große Hoffnungen.
Mein Vorschlag für ein Europa der regionalen Bundesstaaten ist auch keine andere Form einer nationalistischen Politik, denn Geschichte, Sprache und Kultur sollen zwar der Abgrenzung dieser Verwaltungsbezirke zugrunde liegen, aber der nationale Gedanke verschwindet. In den Vordergrund tritt die Heimat, dort wo ich zu Hause bin. Diese kleineren Einheiten sind viel näher am Menschen als die nationalen Monster, die nur Unheil bringen. „Nie wieder“ schrieb Selenskyj dem Deutschen Bundestag ins Stammbuch. Der Schutz aller Minderheiten und das Selbstbestimmungsrecht aller Völker muss Wirklichkeit werden. Und das Ganze muss in einer neuen Europäischen Verfassung münden. Es ist schließlich die Vielfalt, die Europa ausmacht.
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