Zu Beginn dieses Jahres finden immer wieder eine Reihe von Stellungnahmen und Neujahrsempfängen statt, bei denen der interessierte Bürger einiges erfahren kann. In diesem Jahr war dies besonders intensiv, denn das Jahr 2024 ist auf vielen Ebenen ein Wahljahr, und so gilt es für die Politik, sich in Stellung zu bringen. Für mich ein Anlass, mich mit zwei Botschaften zu beschäftigen, die gegensätzlicher nicht sein können. Es ist einmal die Neujahrsbotschaft des Ministerpräsidenten Oliver Paasch, eine Art Bericht zur Lage der DG. Die andere Botschaft ist die der Partei Vivant, die im Parlament der DG in der Opposition vertreten ist.
Oliver Paasch macht einen Rundumschlag und zählt alle Errungenschaften der langjährigen Regierungszeit der jetzigen Regierung auf, um vor allen Dingen zu belegen, welchen großen Nutzen unsere Gemeinschaft der neun Gemeinden des deutschen Sprachgebiets gebracht hat. 2023 hat man schließlich 50 Jahre Autonomie gefeiert. Ich möchte hier nichts hervorheben oder kritisieren. Ich selbst teile die Meinung, dass Hervorragendes geleistet wurde in allen Bereichen, die in der Zuständigkeit unserer Gemeinschaft liegen und dass man eigentlich nur mit Bewunderung betrachten kann, was alles im Rahmen dieser Autonomie erreicht wurde. Natürlich wird es auch einige Verbesserungen geben müssen, und man nennt als ein Beispiel die Eindämmung der Verschuldung. Aber dabei muss man auch bedenken, das die Verbesserungen in den verschiedenen Kompetenzbereichen wie Bildung, Kultur, Jugendschutz, Soziales, Gesundheit, Umwelt und Raumordnung zum Beispiel, auch von innen heraus verbessert werden können. Alles in allem ist der Tenor des Lageberichts wohl, dass sich die Autonomie lohnt und das alle die heute, nach fünfzig Jahren noch skeptisch sind, wohl auch noch zu überzeugen sein werden. So jedenfalls sieht es der Ministerpräsident.
Dann frage ich mich natürlich, wieso in dem Beitrag der Partei Vivant, die auch im Parlament in Eupen vertreten ist, eine ganz andere Einschätzung zum Zustand unserer Gemeinschaft abgegeben wird. Ich frage mich zunächst, wieso es in einer solchen Einstellung gegenüber einer segensreichen Autonomie, von der andere Völker oder Minderheiten nur träumen können, überhaupt kommen kann. Die Antwort darauf finde ich in diesem Beitrag der Partei Vivant in der Tageszeitung Grenzecho. Ganz offensichtlich ist diese Partei so etwas wie ein Sammelbecken aller Unzufriedenen und reiht sich für mich ein in viele solcher Wählergemeinschaften oder Listen, die wir überall in Belgien, in Europa und noch anderswo finden und die sich eigentlich nur dadurch auszeichnen, dass sie grundsätzlich gegen alles sind. Ein tatsächliches Programm findet man nicht, nur einige Schlagworte. Zumindest ist aber eine konstruktive, politische Zusammenarbeit eher selten. So wird auch in dem Beitrag von Vivant ein Szenario gezeichnet, von dem was alles schlecht ist. Da bleibt also kein gutes Haar an dem, was geleistet wurde. Wörtlich steht dort, dass das Ende nah ist. Man kann sich des Eindrucks nicht verwehren, dass die Taktik darin besteht, durch ein Negativ-Szenario einen Teil der Wähler für sich zu gewinnen. Es stehen schließlich Wahlen an, auch für die Regionalparlamente. So stürzt man sich auf Themen und äußert Standpunkte, mit denen man auf jeden Fall die Unzufriedenen und Querdenker um sich versammelt. Auf diese Art und Weise gewinnt man dieses Wählerpotential. Diese Praxis ist weltweit zu erkennen.
Beschäftigt man sich mit den Wahlen zum Parlament der DG (PDG) im Juni 2024, so ist es sehr schwer eine Prognose abzugeben über den Verlauf und die Ergebnisse dieser Wahl, jenseits von Meinungsumfragen. Ich glaube sechzehn Jahre wurde die stärkste Partei, nämlich die Christlich Soziale Partei (CSP) von der Regierungsverantwortung ferngehalten, genauso wie sie ebenfalls zwanzig Jahre zuvor die Regionalpartei PdB (Partei der deutschsprachigen Belgier), die für die Autonomie einstand, ferngehalten hatte. Erst einer jungen Generation von Politikern ist es gelungen, als Wählergemeinschaft mit der Sozialistischen Partei (SP) und der Liberalen Partei (PFF) eine Koalition zu bilden. Diese neue Generation von Politikerinnen und Politikern firmiert unter dem Namen ProDG. Sie waren zuletzt stärkste Kraft, mit etwas mehr als 20% der Stimmen. Dazu kommen dann noch die Grünen, die hier nicht unter dem Namen Grün firmieren wie in Flandern und Deutschland, sondern unter dem Namen Ecolo, dem Namen des wallonischen Flügels. Dies ist also die Vielfalt der Parteien und Wählergemeinschaften, und es mögen noch die eine oder andere hinzukommen.
So wird es auch bei den anstehenden Wahlen wieder zu einer Konstellation von sechs Parteien kommen, bei 25 Parlamentsmitgliedern, und alle Varianten einer Koalition sind möglich. Ist dies gut oder schlecht? Schwer zu sagen, denn zunächst gilt natürlich der Wählerwille, aber man kann nur hoffen, dass mit den politischen Vertretern, die der Autonomie skeptisch bis feindlich gegenüberstehen, keine Partei koalieren möchte.
Dies ist umso wichtiger, als bei den Parteien, die für das Föderale Parlament in Brüssel kandidieren, sehr unterschiedliche Auffassungen darüber bestehen, wie der belgische Staat der Zukunft aussehen soll. Zwar hätte die Regierung eine neue Staatsreform auf den Weg bringen sollen, aber dazu ist es nicht gekommen. Lediglich eine Onlinebefragung der Bürgerinnen und Bürger hat stattgefunden, aber gehört hat man davon nichts mehr. So ist auch ungewiss, in welche Richtung sich eine durchaus notwendige Staatsreform entwickeln wird. Als ein Spuk schwebt über allem der Vorschlag der NV-A, der derzeit flämischen Mehrheitspartei, eine Konföderation von zwei Staaten zu gründen, mit einem Sonderstatus für Brüssel. Eine Konföderation zu viert wünschen sich hingegen einige andere Parteien, wie zum Beispiel Ecolo/Groen oder fünf der im Osten Belgiens beheimateten Parteien, die oben genannt wurden. Man muss aber auch festhalten, dass gerade die Wählerinnen und Wähler im Osten Belgiens nach fünfzig Jahren Autonomie noch immer nicht über einen eigenen Wahlkreis verfügen. Deshalb sind die regionalen Ableger der wallonischen Parteien letztendlich in gewisser Weise abhängig von den Positionen ihrer Mutterparteien, wenn sie überhaupt zu Wort kommen.
In Belgien liefern nämlich andere Parteien, wie zum Beispiel die wallonischen Sozialisten, kein klares Bild ab und verweigern sogar die Verhandlungen über eine Konföderation. Angeblich würde eine Konföderation das Auseinanderdriften des Staates zwingend zur Folge haben. Somit sind auch unsere Wünsche und Visionen einer solchen Lösung mit vier Teilstaaten durchaus nicht in trockenen Tüchern.
Die Autonomie für die deutschsprachige Gemeinschaft war ein Glücksfall der Geschichte und man kann sagen unsere politischen Vertreter haben die Aufgabe der Umsetzung hervorragend gemeistert. Wir müssen aber gerade in den kommenden Monaten darum kämpfen, dass wir die Autonomie ausweiten und vollenden. Wenden wir uns deshalb ab von jenen Kräften, die unsere Autonomie schlecht reden. Ähnlich wie bei Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zum Beispiel in Deutschland geht es auch hier bei uns nicht darum, irgendjemanden einen Denkzettel zu verpassen und es “denen da oben” zu zeigen, indem man politischen Profiteuren ohne menschenfreundliche Zukunftsvision eine Stimme gibt.
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