Mein gesellschaftspolitisches Engagement

Gemeinderat in Hauset und die Autonomiebewegung in Belgien

Der „Rat der deutschen Gemeinschaft in Ostbelgien V.o.E.“ (1973-1976)

 

In der Politik hatten sich, wie bereits geschildert, die Aktivitäten verlagert. Die Arbeit im Gemeinderat nahm viel mehr Zeit in Anspruch, als ich ursprünglich gedacht hatte.  Es spielte aber dabei auch eine Rolle, dass ich seit dem 1. Juli 1972 für die Nixdorf Computer AG zur Ausbildung in Haaren bei Büren weilte und daher nicht oft zu Hause war. Hierunter litt natürlich auch mein wachsendes Engagement in der Regionalpolitik, oder, um es auf einen einfachen Nenner zu bringen, mein Einsatz für die „Autonomiebestrebungen des deutschen Sprachgebiets im Rahmen der Regionalisierung Belgiens“. Nachdem ich in die Filiale Aachen wechseln konnte, fand ich jedoch etwas Zeit, meinen Verpflichtungen  und Aufgaben im Gemeinderat nachzugehen.

 

In Hauset nahm die Zusammenarbeit im Gemeinderat auch eine etwas unerwünschte Wende. 

 

Der Bürgermeister hatte recht schnell nach seiner Wahl unter anderem versucht, seine eigenen Pfründe und Wünsche in trockene Tücher zu bringen, um nachzuholen, was der vorherige Bürgermeister Heinrich Heutz ihm jahrelang verwehrt hatte, nämlich die Genehmigung zur Parzellierung von Wiesen landwirtschaftlicher Nutzung, ohne weitere Auflagen wie etwa Anliegerkosten. Dies brachte nicht nur die Opposition, vertreten durch die beiden Landwirte Christian Bastin und Kuno Homburg auf die Palme. Es entstand über verschiedene Parzellierungsprojekte in der Gemeinde Hauset eine große Auseinandersetzung, ja sogar ein großer Krach, was schließlich zu anderen Machtverhältnissen im Gemeinderat führte. 

 

Im Dorf selbst war die öffentliche Meinung genauso geteilt wie im Gemeinderat, was die Lösungen nicht erleichterte. Ohne dem weiteren Verlauf zu sehr vorzugreifen, konnte ich auch im Nachhinein betrachtet feststellen, dass, wenn es auch nicht möglich war, verschiedene Parzellierungen zu verhindern, es doch auch dreißig Jahre später noch nicht zu einer Bebauung dieser Baugrundstücke gekommen ist. Der Zersiedelung des Dorfes, welche in vollem Gange war, konnte etwas Einhalt geboten werden, allerdings auf Kosten dieses großen Krachs, der erst zum Ende der Wahlperiode 1976 beigelegt werden konnte. 

 

 

Der „Rat der hochdeutschen Volksgruppe V.o.E.“ 1976

 

In meinem politischen und gesellschaftlichen Leben sollte, zumindest auf Gemeindeebene, eine Karriere zu Ende gehen. Die Gemeindereform brachte es mit sich, dass die Gemeinde Hauset aufhörte zu bestehen und in die neue Großgemeinde Raeren überging. Dieser Schritt wurde zum 1. Januar 1977 vollzogen, so dass auch mein Mandat im Gemeinderat erlosch. Aufgrund meiner negativen Erfahrungen war ich aber auch nicht mehr an einem neuen Mandat interessiert, mein politisches Engagement beschränkte sich auf die Regionalpolitik und die Autonomiebestrebungen der deutschen Kulturgemeinschaft in Belgien. 

 

Der Rat der deutschen Gemeinschaft in Ostbelgien V.o.E. hatte 1976 mit der Satzungsänderung den Namen geändert in „Rat der hochdeutschen Volksgruppe“, auch Volksgruppenrat genannt. Dieser Name sollte nun nicht mehr zu Verwechslungen mit dem Namen des Verfassungsorgans führen. Auch haben wir stets den Zusatz V.o.E. hinzugefügt, in Belgien die Bezeichnung für „e.V.“. An den Zielen und Aufgaben änderte sich wenig. Jedoch stand eine neue Verfassungsreform an, was auch zur Folge hatte, dass der belgische Zentralstaat vielen Zerreißproben ausgesetzt war.  Bekanntlich musste ja eine doppelte Zweidrittelmehrheit im Parlament gefunden werden und dies führte zu Koalitionen, die man sich nie hatte vorstellen können. Die Volksunie in Flandern war auf nationaler Ebene die treibende Kraft für die Umwandlung des belgischen Staates vom Einheitsstaat zum Bundesstaat, aber im Grunde konnte sich keine politische Gruppierung oder Partei diesem Trend entziehen. Der Zug rollte unaufhaltsam in Richtung Föderalstaat.  

 

Nach 1974 fanden für den Rat der deutschen Kulturgemeinschaft  1977 erneut Wahlen statt. Auch ich hatte diesmal auf der PDB-Liste kandidiert, allerdings erfolglos. Ich stand an 19. Stelle von 25 Kandidaten und hatte somit keine Chance, gewählt zu werden. Das Ergebnis der Wahl bescherte der PDB durchaus einen Achtungserfolg, Sie errang 29,4% der Stimmen und belegte damit den zweiten Platz hinter der CSP mit 39,9% der Stimmen. Für diese Partei war es ein herber Verlust von 7% im Vergleich zur letzten Wahl von 1974. Vor allem die Sozialistische Partei (SP) errang mit 12,1% ebenfalls einen Achtungserfolg. Dritte Kraft war allerdings die Liberale PFF mit 18,4%. 

 

Die PDB errang zwar sieben Sitze im Parlament, aber die drei anderen Parteien koalierten gegen diese Partei, die ja als einzige die Autonomie anstrebte und auch nicht hinnehmen wollte, dass unser Gebiet Bestandteil der  Wallonie würde.

 

In dieser Phase wurden nun die letzten Pflöcke eingeschlagen, im Angesicht der anstehenden Verfassungs-reform. 

 

Der Volksgruppenrat war bemüht, publizistisch die Maximalforderung zu verbreiten. Eine These  war die in „Meinungen ... Standpunkte“ im Grenz-Echo veröffentlichte, mit dem Titel „Warum Deutschbelgien ein eigener Bezirk sein muss“, in drei Folgen. Für die beiden letzten Folgen verwendete das Grenz-Echo nicht mehr den Begriff Deutschbelgien. 

 

Die Verfassungsreform kam dann aber doch nicht so schnell wie erwartet. 1978 wurde erneut gewählt, und es war just zu dieser Zeit, dass die Hermann Niermann-Stiftung entstand. Diese Entstehung beschreibe ich an anderer Stelle. Sie brachte etwas Geld in die Kasse des Vereins und auch auf Umwegen in die Hände der PDB. Die Wahlen von 1978 lieferten für die PDB erneut ein Ergebnis von 30,1%, das höchste das jemals erreicht wurde. Die CSP gewann ebenfalls leicht hinzu und verbuchte 41,4%, die Sozialistische Partei unverändert 12,1% und die Liberalen 16,5 % (minus 2%). Somit waren die Kräfteverhältnisse kaum verändert, der Durchbruch war nicht gelungen. 

 

Doch nun begann der Endspurt hin zur Verfassungsreform. Mit etwas Geld in der Kasse des Volksgruppenrats wurde nicht nur die Auflage des Wegweiser erhöht und die Verteilung gezielt ausgeweitet, es wurden auch verstärkt Pressemitteilungen verschickt und sogar Pressekonferenzen abgehalten. Damit wollte der Verein vor allen Dingen die flämischen Zeitungen und deren Leserschaft erreichen. Auch Internationale Pressekonferenzen sollten vor allen Dingen in der Bundesrepublik auf die Entwicklungen in Belgien aufmerksam machen. Etwas Besonderes waren auch verschiedene Einladungen an flämische Parlamentarier, meist von der Volksunie, von denen wir uns Unterstützung erhofften. Dieses Netzwerk hatte Dr. Funk meist eingefädelt, er hatte wohl gewisse Verbindungen zu exponierten Mitgliedern der flämischen Bewegung. Auch Leo Tindemans, der spätere Premierminister sprach in Eupen (21.10.1971). Er war im Grunde ein größerer Förderer der Autonomie als die Vertreter seiner eigenen Partei in Eupen-Sankt Vith. Tindemans sprach hier den berühmten Satz „... hilf Dir selbst, dann hilft Dir Gott!“

 

Im Vorstand des Vereins kam es jedoch zu einigen Verwerfungen, die man nicht als Streit bezeichnen konnte, die aber doch Veränderungen mit sich brachten. Da nun über die Hermann-Niermann-Stiftung etwas Geld vorhanden und auch in Zukunft zu erwarten war, fühlten sich einige Vorstandsmitglieder nicht wohl dabei. Dies mag daran gelegen haben, dass man sehr wenig über die Stiftung wusste und dass man auch nicht direkt mit dieser ins Gespräch kommen konnte. Auch meine Erklärungen, zu diesem Zeitpunkt noch sehr dürftig, konnten keine Antworten liefern. Deshalb verließen einige Mitglieder am 5. April 1979 den Vorstand, vor allem die jüngeren. Besonders schmerzhaft war allerdings, dass auch Heinz Schillings aus dem Verein austrat. Er war ja so etwas wie der Chefideologe und hatte die Schriftleitung seit mehreren Jahrzehnten innegehabt. Genaue Gründe hatte mir Herr Schillings nicht gegeben, ich meinte allerdings zu erkennen, dass er wohl die Gefahr sehe, dass es aufgrund des Geldes zu Maßnahmen der Behörden kommen könnte und man vielleicht zur Rechenschaft gezogen würde. Ich selbst sah diese Probleme nicht, mein Vertrauen in den belgischen Staat war eigentlich an dieser Stelle nicht erschüttert.  Auch hatte ich stets die jährliche Finanzrechnung bei Gericht eingereicht und wollte dies auch in Zukunft weiter tun. Froh war ich, dass Herr Schillings aber seine Mitarbeit in der Redaktion der Zeitschrift beibehielt obwohl er nicht mehr Mitglied des Vereins war. Dies war er auch in Abgrenzung zu Dr. Funk. 

 

Den Veränderungen im Vorstand war am 17. März 1979 eine weitere Satzungsänderung vorausgegangen sowie eine Neubesetzung des Vorstands. Bei diesem Anlass  schieden auch die beiden Herren Dries und Dr. Scholzen aus dem Verein aus. Hier lag der Grund auf der Hand. Beide waren exponierte Politiker im Rat der deutschen Kulturgemeinschaft und die ständigen Vorwürfe wegen der Verbindungen zum Volksgruppenrat waren ihnen wohl zu viel. Die Mitgliedschaft im Verein war bei der Parteiarbeit nicht hilfreich und der Sache der Partei nicht dienlich. 

 

Das größte Ereignis des Jahres 1979 war die Plakataktion des Vereins, mit der wir sowohl die Öffentlichkeit in unserem Gebiet als auch die Parlamentarier in Brüssel erreichen wollten, denn die Abstimmungen über die Verfassungsreform standen an. 

In Brüssel und in Ostbelgien buchte der Verein große Werbetafeln mit dem Text: „Eigenständigkeit auch für Eupen-Sankt Vith“. Kleinere Plakate für die Plakatwände in unserer Gegend erklärten unsere Zielsetzung und erläuterten die Gefahren, die mit einer bleibenden Eingliederung in die Wallonie verbunden waren. Sie lauteten zum Beispiel „Belgien zerreißt die Verfassung von 1970“, oder „Wir wollen nicht „Heim ins Reich“ wie der Präsident der PSC behauptet, aber wohl „raus aus Wallonien“. 

 

Als es 1980 soweit war und die Zweite Staatsreform durch die Parlamente ging, wurde der Rat der deutschen Kulturgemeinschaft zum Rat der deutschsprachigen Gemeinschaft. Mehr hierzu im nächsten Kapitel. 

 

Schon in den Jahren zuvor, seit der Einführung des gewählten Rates, setzte auch langsam, viel zu langsam, ein Umdenken bei den sogenannten nationalen Parteien ein. Sie beschworen zwar immer den „langen Arm nach Brüssel“, stellten aber selbst nur immer minimale Forderungen in den Raum, wo man doch hätte glauben können, dass die Zeit reif war für weitergehende Autonomieforderungen, die man durch das Parlament in Brüssel hätte bringen können. So wurde die Autonomie-Partei PDB über Jahre ausgeschlossen von gesetzgeberischen Entscheidungen, sie konnte nur als Opposition Druck aufbauen. Die anderen Parteien hielten die PDB, und somit auch deren Wählerschaft, immerhin ein Drittel der Wähler, fern von einer demokratischen Mitgestaltung des Gemeinwesens im deutschen Sprachgebiet von Belgien. Ich selbst habe diese Entwicklung sehr bedauert, denn sie hat zu einer weiteren Polarisierung in der Bevölkerung geführt: auf der einen Seite die selbstbewussten Vertreter einer größtmöglichen Eigenständigkeit für unser Gebiet, auf der anderen Seite die bald als Polit-Opportunisten beschimpften Vertreter der nationalen Parteien, und deren Anhängerschaft. Diese Parteien waren im Vorteil, nicht wegen des „langen Arms nach Brüssel“, sondern weil sie die Früchte ernteten für das, was andere gesät hatten. Mit dem wachsenden Autonomiestatus erhielten viele Vertreter dieser Parteien irgendwann ein Pöstchen im Räderwerk der Politik. Erster Nutznießer war der Bürgermeister aus Kelmis gewesen, Willy Schyns, später aber auch andere Mitglieder der Christlich Sozialen Partei (CSP) oder der Liberalen (PFF), die damals die Mehrheit bei den Wahlen in Eupen-Sankt Vith stellten. Hierzu zählten Persönlichkeiten wie Herbert Weynand, Albert Gehlen, Kurt Ortmann (mein früherer Turnlehrer im Collège Patronné in Eupen) oder der künftige Bürgermeister von Eupen, Fred Evers, um die Prominentesten zu nennen. 

 

Dass der „lange Arm“ allerdings nicht immer Erfolg versprach zeigten Entscheidungen, die hin und wieder die politische Landschaft wachrüttelten. Mal wurden das deutsche Sprachgebiet oder deren Vertreter von wallonischer Seite hofiert, manchmal fallengelassen, wie es Johann Weynand erging, der trotz vieler Vorzugsstimmen im Wahlkreis Verviers nicht zum Senator kooptiert wurde. Wenn auch die jahrelange Auseinandersetzung zwischen PDB auf der einen Seite und den drei anderen Parteien auf der anderen Seite sich intellektuell auf hohem Niveau abspielte, so hinterließ sie doch tiefe Wunden und Verletzungen, die nur schwer verheilten. Ende der 70-er Jahre und zu Beginn der 80-er Jahre war diese Auseinandersetzung allerdings noch in vollem Gange. 

 

An dieser Auseinandersetzung waren indirekt der „Rat der deutschen Gemeinschaft in Ostbelgien V.o.E“ und später der „Rat der hochdeutschen Volksgruppe“ beteiligt gewesen. Der Verein versuchte sozusagen als Lobbyist oder Druckgruppe mit Kontakten zu flämischen Politikern, auf die verschiedenen Entscheidungsträger für eine Verfassungsänderung im belgischen Parlament Einfluss zu nehmen. Für mich war ausschlaggebend, dass die deutschsprachige Bevölkerung Ostbelgiens eine möglichst umfangreiche Autonomie im Rahmen der Verfassungsreformen erhalten sollte. Der Staat sollte sich dabei allen seinen Bürgern gegenüber loyal verhalten und das deutsche Sprachgebiet nicht einer der beiden großen Volksgruppen zuordnen, auch wenn in Deutschostbelgien viele Bürger wohl die Wallonie mit Belgien verwechselten. Sie bekannten sich zu Belgien, nahmen allerdings die Zugehörigkeit zum belgischen Teilstaat Wallonien in Kauf.

 

 


Die Janssens aus Hauset

Walther und Elka Janssen wohnten mehr als 40 Jahre mit ihren drei Söhnen in dem kleinen Ort Hauset, einem Ortsteil der Gemeinde Raeren in Ostbelgien. Vieles in dem Archiv unserer Webseite dreht sich deshalb um diese 40 Jahre gemeinsamer Erlebnisse, aber auch um die Zeit davor. Elka und Walther wohnen seit 2013 in Schleckheim, einem Stadtteil im Süden von Aachen. Die beiden ältesten Söhne sind mit ihren Familien in Hauset geblieben, der jüngste Sohn wohnt am Firmensitz der Janssen Cosmetics in Oberforstbach (Aachen).  Wir möchten die Privatsphäre schützen, deshalb reagieren wir gerne auf Hinweise. Wenn Ihr also Hinweise,  Fragen, Anregungen und Vorschläge oder Ideen habt, meldet Euch gerne  

 

dialog@waltherjanssen.eu  


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Kommentare: 4
  • #4

    Astrid Heidendal geb.Roomers (Sonntag, 15 September 2024 17:23)

    Liebe Familie Janssen, auch ich komme aus Hauset, Wir haben gegenüber gewohnt das freistehende Haus, wir kennen uns sicher, kurz!Mein Schwestern heissen Monique und Susanne,geb.1945,1949 ich und 1951.Mein Vater arbeitete bei Noell und hatte 54 einen toetlichen Autounfall,deswegen sind wir Ende 55 weggezogen erst nach Raeren und danach Nispert-Kettenis. Koelen Jansen hat beide Umzug geholfen Ich erinnere mich noch an den Ofen in der 1..Klasse.Frau Taxhet kannte ich gut,ich war viele Jahre im Sommer bei Lamberts auf dem Bauernhof,Viele liebe Gruesse aus den Niederlenden

  • #3

    Scott ivins (Dienstag, 05 März 2024 21:45)

    It was a wonderful experience acting as sales agents for Tristano Onofri fragrances together with Adel Haddad

  • #2

    Klara Doert (Samstag, 19 November 2022 16:44)

    Ganz toll das wir uns gestern bei der Euriade zur Verleihung der Martín Buber Plakette an Iris Berben in Kerkrade zufällig nach all den Jahren über den Weg liefen. Warte nun aufs Foto�

  • #1

    Detlev O. (Freitag, 01 Januar 2021 17:57)

    Lieber Walther, Du hast das Jahr 2020 sehr gut von allen Seiten beleuchtet. Immer ein Blick auch auf die Firma. Bleibt gesund