Die beiden Jahre waren für unsere Familie sehr abwechslungsreich, trotz der Veränderung in meinem beruflichen Umfeld, die doch einiges an Energie abverlangten. Wir reisten in beiden Jahren in Urlaub an den Plattensee nach Ungarn, ein absolutes Highlight war allerdings der Aufenthalt in der Karibik im Frühjahr 1988. Ulrich und Reinhard besuchten inzwischen die Realschule in Burtscheid, Erik war noch in der Hauseter Volksschule.
8. Das Familienleben bei all dem Stress (1988 und 1989)
Durch die neue Aufgabe als Geschäftsführer von Babor International in Vaals änderte sich im täglichen Ablauf auch unseres Familienlebens einiges. Morgens fuhr ich mit dem PKW über Kelmis und Gemmenich nach Vaals, es waren genau elf Kilometer, also nur unwesentlich weiter als die Fahrt nach Eilendorf Süd. In der Tentstraat hatten wir ein nettes Team zusammengestellt und die Familienverhältnisse kamen auch in geregeltere Bahnen, wenngleich doch eine starke Belastung auf meinen Schultern lag. Die hatte zum einen zu tun mit der Haltung meines eigenen Betriebs in Aachen, der doch einen gehörigen Druck aufbaute gegenüber dem internationalen Geschäft, obschon die Geschäftsführung in Aachen fürwahr auch bedeutendere Probleme vor der eigenen Türe hatte. Da war zum einen die Onofri-Lizenz, zum anderen das Femia Geschäft.
Die internationale Firmenstruktur der Gesellschafter von Babor beruhte auf einem Konstrukt von Firmen, welche sowohl in den Niederlanden als auch auf den Niederländischen Antillen angesiedelt war. Deshalb hatte ich schon länger damit geliebäugelt, dem Inselstaat Sint Maarten einen Besuch abzustatten. Da es rein geschäftlich nicht viel zu besprechen gab, hatte ich den Gedanken, eine solche Reise mit der ganzen Familie zu unternehmen. So nutzte ich die Gelegenheit, im Februar 1988 einen längeren Urlaub einzuplanen, in der Zeit, als auch Ulrich Schulferien hatte. Lediglich meinen eigenen Flug habe ich über die Reisekostenabrechnung mit der Firma verrechnet.
Die Reise führte uns ab Paris mit Air France zu dem Flughafen von Sint Maarten, bei Philipsburg im niederländischen Teil der Insel. Dort hatten wir uns in einem Golfhotel, von denen es auf dieser Insel einige gab, eingenistet. Das Wetter war herrlich und so genossen wir zunächst einige Tage am Strand mit den Kindern.
Auch den Söhnen fiel schon die ungekannte Ruhe auf, die auf dieser Insel herrschte, zumindest bei den Einheimischen. Die halbe Insel gehörte ja zu Holland, die andere Hälfte zu Frankreich. Wir besuchten natürlich beide Teile und machten verschiedene kleine Ausflüge nach Saint Martin, das Städtchen hieß Marigot. Der Strandaufenthalt reichte aber, um die Kinder, aber auch die ganze Familie glücklich zu machen. Weitere Ausflüge führten uns zu anderen karibischen lnseln, die als Ausflugsziel leicht zu erkunden waren. Zu diesen Inseln gehörte Anguilla, ein äußerst schmales Karibik-Eiland, sowie St. Barth, wo noch die schwedische Flagge über den Dächern wehte. Beide Inseln konnten wir mit dem Boot erreichen. Mit dem Flugzeug begaben wir uns auf die französische Insel Martinique und machten dort eine Bootstour. Schnell kehrten wir wieder am Abend nach Sint Maarten zurück.
Christi Himmelfahrt feierte Reinhard seine erste Heilige Kommunion. Wie üblich war dieses kirchliche Ereignis auch ein großes Familienfest, welches wir gebührend feierten. Reinhard war nun bereits im zweiten Schuljahr bei Frl. Wetzels und Frl. Cormann.
Im Sommer 1988 aber reisten wir zum ersten Mal mit dem Auto und der ganzen Familie nach Ungarn. Wir hatten dort in dem Ferienpark Tihanyi Club eine Ferienwohnung gemietet, direkt am Plattensee, auf der nördlichen Seite, also gegenüber den Campingplätzen. Ich selbst hatte auf einer Geschäftsreise 1987 Budapest und auch den Plattensee für einige Tage ausgekundschaftet. Die Fahrt zum Plattensee war etwas mehr als 1200 Kilometer, sie wurde nur dadurch erschwert, dass ich mir auf der Reise einen Hexenschuss eingefangen hatte, den ich noch behandeln lassen musste. Das Leben im Club war sehr schön und abwechslungsreich. Aufgrund meiner früheren Geschäftsreise nach Ungarn hatte ich eine Mitarbeiterin der Kosmetikfirma Helia-D aus Debrecen kennengelernt, die aber in Budapest lebte. Beatrix Kocsis unterhielt eine kleine Datscha nicht weit vom Plattensee, sodass wir uns auch hier alle trafen. Der Sommer war besonders auf den Feldern des flachen Landes sehr heiß, in Tihanyi hielten wir uns, so gut es ging, im Schatten auf. Allen hat die Reise sehr gut gefallen. Wir waren ja mobil, sodass ich auch nach Budapest fahren konnte oder nach Fünfkirchen (Pecs), um auch einiges von Land und Leuten kennenzulernen.
Beruflich war ich ja nur nach Budapest und Debrecen gekommen. Ich hatte mir das Land Ungarn ausgesucht, weil es im Ostblock mit zu den liberalsten Ländern gehörte, auch in Bezug auf die Wirtschaftspolitik. Aber auch ansonsten merkte man dies, da viele Touristen aus der DDR am Plattensee ihren Urlaub verbrachten.
Im Sommer feierten meine Schwester Monique und ihr Mann Hermann ihre silberne Hochzeit. Sie hatten aus diesem Anlass ein großes Gartenfest veranstaltet mit zahlreichen Gästen und edlen Speisen. Auch die Messe im Dom zu Aachen, wo die beiden geheiratet hatten, durfte dabei nicht fehlen. Das Fest war somit ein unvergessliches Ereignis, nicht nur für die beiden, sondern auch für uns, die Gäste. Monique hatte es hervorragend verstanden, alles zu organisieren. So grillten pakistanische Asylanten, die im Ort wohnten, Curry-Hühnchen und auch ansonsten war für ausreichend Personal gesorgt, um die Gäste zu verwöhnen.
Im Jahr 1989 hatte es beruflich weniger Reisen gegeben als im Jahr zuvor, aber ich hatte mir jetzt noch einmal den pazifischen Raum vorgemerkt. So war ich im April mehrere Wochen in Singapur, Malaysia, aber vor allen Dingen in Australien und Neuseeland unterwegs gewesen. Das ich nun häufiger Zuhause war, kam sicher der Familie zugute, insbesondere Ulrich, denn er war nun schon über zehn Jahre alt und besuchte inzwischen die Realschule in Aachen. Das Leben in und mit der Familie, Elka und den Kindern, rückte damit automatisch in den Fokus. Im Nachhinein betrachtet wird mir immer deutlicher, welche große Belastung und Verantwortung vor allen Dingen in der zweiten Hälfte der 80er Jahre auf den Schultern von Elka gelastet hatte. Mehr noch als damals betrachte ich dies heute mit großer Bewunderung. Wer sieht, wie viel ich in den Jahren von 1981 bis 1989 in der ganzen Welt unterwegs war, der wird schnell feststellen, dass die Erziehung der Kinder in den Händen von Elka gelegen haben muss. Noch heute bin ich dankbar für das, was Elka in diesen Jahren geleistet hat. Auch die Kinder wissen es heute noch zu schätzen.
Im Sommer 1989 fuhr die ganze Familie wieder mit dem Auto nach Tihanyi an den Plattensee, weil es uns dort so gut gefallen hatte. Wir hatten uns dieses Mal mit unseren Freunden aus Zürich, Claudia Meyer und Markus Mettler verabredet, die gerade geheiratet hatten. Somit war die Stimmung noch fröhlicher als üblich, und das Wetter und die Erholung waren genauso schön.
Und trotzdem war 1989 etwas anders. Im Betrieb hatten die Spannungen zugenommen und so langsam lastete auf mein weiteres Wirken eine mögliche Trennung von Babor. Nach meiner Rückkehr aus Ungarn hatte mich der Alt-Gesellschafter Dr. Leo Vossen „zur Rede gestellt“. So langsam steigerte man sich in etwas hinein, was unumkehrbar schien, aber eigentlich grundlos war, denn der Umsatz des internationalen Geschäfts war nach wie vor steigend gewesen. Nervlich war ich aber ziemlich angespannt. Ich hatte schon im Herbst parallel Verhandlungen in Paris aufgenommen, um in das Unternehmen der Familie des Dr. Oléon einzusteigen. Die Firma vertrieb im bescheidenen Maße eine Pflegeserie unter der Marke OLEON, die in einem kleinen Labor im 1. Departement hergestellt wurde. Die Verhandlungen mit Dr. Oléon und seinen beiden Töchtern Maïtou und Annie zogen sich über Wochen hin, sie kamen aber leider nicht zum erfolgreichen Abschluss. Ein Jahr später verstarb Dr. Oléon in Paris.
Die letzten Monate des Jahres waren dann der Vorbereitung des Ausstiegs gewidmet. Deshalb war auch mein Abschied von Babor privat gesehen kurz und schmerzlos. Bei meinen Mitarbeitern in Vaals gab es eine kurze Feier, nicht mehr aber in Aachen.
Was passierte im Zeitfenster der achtziger Jahre...
Heute ist man geneigt zu meinen, jedes Jahr sei ein turbulentes Jahr. Sicher ist, dass heute die Informationen schneller um den Globus laufen, aber turbulent waren die Jahre früher sicher auch. 1980 zum Beispiel war der Demokrat Jimmy Carter Präsident der Vereinigten Staaten, die Geiselnahme in Teheran hielt die Welt in Atem. Die andere Weltmacht, die Sowjetunion, marschierte in Afghanistan ein. Daraufhin boykottierten die meisten westlichen Länder die Olympischen Spiele in Moskau, die damit deutlich abgewertet wurden.
In München kam es anlässlich des Oktoberfests zu einem schrecklichen Bombenattentat. Schließlich wurde auch die Partei „Die Grünen“ gegründet, die bald in den Bundestag einzog.
1981 folgte Hosni Mubarak auf Anwar al-Sadat und in Danzig gründeten die Werftarbeiter mit Lech Walesa die Gewerkschaft „Solidarnocz“. Schon damals liefen die ersten Demonstrationen gegen die Atomkraft, Diana heiratete Prince Charles und die Serie Dallas startete im deutschen Fernsehen. 1982 fand die große Friedensdemonstration im Hofgarten von Bonn statt und Deutschland verlor im WM Finale in Spanien gegen Italien 1:3. Nicole gewann den Prix Eurovision de la Chanson. Romy Schneider nahm sich das Leben, Grace Kelly starb bei einem tragischen Verkehrsunfall.
Im Zeichen der Entspannung unter Willy Brandt durfte Udo Lindenberg 1983 in Ostberlin auftreten („Der letzte Zug nach Pankow“) und die Krankheit Aids wurde erstmals diagnostiziert. Das erste Mobiltelefon kam auf dem Markt, entworfen von Motorola. Ich brachte mir zwei Jahre später ein solches aus den USA mit nach Hause. 1984 fanden die Olympischen Winterspiele in Sarajewo statt, die Sommerspiele in Los Angeles. Indira Gandhi fiel einem Attentat zum Opfer und Richard von Weizsäcker wurde Bundespräsident. Ein Jahr später, am 11.3.1985 wählte die KPdSU Michail Gorbatschow zum Generalsekretär und von Weizsäcker hielt seine berühmte 8. Mai Rede, wobei er die Schuld Deutschlands im 2. Weltkrieg deutlich beim Namen nannte.
Der erste GAU entstand durch die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl im April 1986, die ich auf dem Rückflug von Bologna zur Kenntnis nahm. Lange Zeit entwickelte sich eine Diskussion, wie verseucht auch Westeuropa durch diese Katastrophe sei. Gorbatschow verwendete zum ersten Mal die Begriffe Glasnost (Offenheit) und Perestroika (Umgestaltung), es verband sich damit die Hoffnung nach Öffnung des starren sowjetischen Systems. Ronald Reagan war Präsident in den USA und Helmut Kohl wurde Kanzler in Deutschland. Ein Jahr später, 1987 sprach Reagan die Worte „Mr. Gorbatschow, tear down that wall“, als er Berlin einen Besuch abstattete.
1988 fanden die Olympischen Winterspiele in Calgary statt und die Sommerspiele in Seoul. Steffi Graf, die erstmals das Tennisturnier in Wimbledon gewann, wurde auch Olympiasiegerin. Russland begann mit dem Rückzug aus Afghanistan, auch eine Folge der Politik Gorbatschows. Man öffnete somit ungewollt das Tor für die radikal- islamischen Taliban. Der Krieg zwischen Irak und Iran wurde nach Jahren des Leidens beendet. Am Platz des himmlischen Friedens in Peking kam es 1989 zum Showdown zwischen Demonstranten und der Armee. Er endete in einem Blutbad. Wir in der Familie hatten 1989 anlässlich unseres Urlaubs in Ungarn schon gemerkt, dass der Eiserne Vorhang langsam zerriss. Polen und Ungarn verzichteten auf den Alleinvertretungsanspruch der Kommunistischen Partei, immer mehr DDR-Bürger flüchteten in die Prager Botschaft und zu Hause in Leipzig liefen die Montagsdemonstrationen an. Honecker trat am 18.10. zurück, am 9. November fiel die Berliner Mauer. Der Kalte Krieg nahm damit ein Ende. In diesen Tagen nahm ich meinen Abschied bei Babor in Aachen und wagte den ersten Schritt in die berufliche Eigenständigkeit.
Es war also nicht verwunderlich, dass Billy Joel 1989 seinen Hit „We didn‘t start the fire“ veröffentlichte, der weltweit die Charts eroberte und heute ganz leicht nochmal aktualisiert werden könnte für die Jahre 1989 bis 2019. Man sieht, dies waren alles andere als ruhige Zeiten, auch wenn wir heute glauben dass es manchmal noch turbulenter zugeht. Vielleicht liegt dies am Internet und an den sozialen Medien, die eine Kommunikation um den Globus in Sekundenschnelle vollziehen. Ganz zu schweigen vom technischen Fortschritt (PC, Laptop, Tablett und Smartphone, die ich noch gar nicht erwähnte.
... und welche Lehren zog ich aus den Erlebnissen dieser Zeit
Die Turbulenzen dieses Jahrzehnts in meinem politischen und zivilgesellschaftlichen Leben habe ich ausführlich geschildert. Ich hatte mich über Jahre hauptsächlich gesellschaftlich und politisch engagiert, um mit anderen Mitstreitern die Autonomie Deutschostbelgiens voran zu treiben. Meine Aufgabe in der Gemeinnützigen-Hermann-Niermann-Stiftung nahm ein ebenso zähes wie jähes Ende. Das, was ich glaubte zum Wohle auch unseres Gebietes im Osten Belgiens erreicht zu haben, wurde nicht wertgeschätzt. Nach meinem Ausstieg im August 1987 wurde zum Glück die Förderung von Projekten in Eupen-Sankt Vith noch einige Jahre fortgesetzt. Sie kam dann zu einem jähen Ende wegen der „Maraite-Erklärung“ im RdG. Mein Engagement in der Stiftung habe ich jedoch nicht bereut. Meinen politischen Standpunkt habe ich beibehalten und die Entwicklungen in der Stiftung, in unserer Heimat und in den Medien höchstens aus der Ferne beobachtet. Insofern besteht ein Kontrast zwischen dem, was ich in diesen Jahren glaube auch zum Allgemeinwohl beigetragen zu haben und dem was öffentlich wahrgenommen wird. Diesen Gegensatz habe ich für mich überwunden.
Gegen Ende der achtziger Jahre erhielten die Regionen in Belgien weitere Kompetenzen und auch der deutschsprachigen Gemeinschaft gelang es, weitere regionale Zuständigkeiten von der Wallonischen Region einzufordern und zu erhalten. Die Autonomie war also auf einem guten Weg.
Die „Niermann-Affaire“ zog sich noch bis weit in die 90er Jahre hin, ohne dass ich darauf Einfluss nehmen konnte oder auch irgendwie beteiligt war. Aber ich muss gestehen dass ich in den Jahren nach meinem Ausstieg aus dem Kuratorium der Hermann-Niermann-Stiftung recht schnell das Interesse an den belgischen politischen Ereignissen verlor, also innerlich abgeschaltet hatte. Ich hielt mich zwar nach wie vor für gut informiert, aber ich war wohl nicht mehr am Puls der Zeit. Diese Einstellung hat sich dann in den nächsten Jahren verfestigt, aber so ganz konnte ich die Vergangenheit nicht abschütteln. Hierzu mehr im nächsten Kapitel.
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